Kultfilme: Cet homme, c'est moi
- caod
- 25. März
- 5 Min. Lesezeit
Von „Taxi Driver“ bis zu „American Psycho“: Abgehängte männliche Außenseiter haben ihre eigenen Kultfilme. Um die Botschaft dieser Werke tobt ein Deutungskampf – wie die Reaktionen auf die „Joker“-Fortsetzung zeigen.
Erschienen am 25. Oktober 2024 in Die Welt
Bei der Premiere gab diesmal kein Extra-Polizeiaufgebot. Auch schickte die US-Armee vorab kein warnendes Rundschreiben. Und die Besucher der Kinos in den Vereinigten Staaten durften sich als Clowns verkleiden. Als fünf Jahre nach dem ersten Teil nun endlich der zweite „Joker“ in die Kinos kam, „Folie à Deux“, schien keiner mehr Angst zu haben.
Das dürfte unter anderem daran gelegen haben, dass bereits bekannt war, dass es sich
um ein Musical handeln würde. Und dass Joaquin Phoenix, der den Joker
verkörpert, die multitalentierte Lady Gaga an die Seite gestellt bekommt, die sein love interest, Lee Quinzel spielt. Auch beim ersten Film hatte es letztendlich keine Ausschreitungen oder Attentate gegeben. Aber dass man nach einem Amoklauf in einer Batman-Vorstellung im Jahr 2014 überhaupt darüber nachdenken musste, zeigt, dass Todd Phillips’ „Joker“ schon vor seiner Premiere auf eine Krise der Männlichkeit verwies. Und das, wie sich herausstellte, über den Film hinaus.
Denn sein Regisseur hatte es damals nicht geschafft, das Narrativ der Monsterwerdung dieses ikonischen Comic-Charakters, den er allzu sehr zu vermenschlichen suchte, in irgendeiner Szene zu brechen. Sein Joker wurde zur Gallionsfigur der Incels, derjenigen Männer, die an die selbsterfüllende Prophezeiung glauben, dass sie sozial abgehängt und deshalb für Frauen unattraktiv seien.
Damals der weltweit erfolgreichste Kinostart ab 16 Jahren, lud der „Joker“ ein breites Publikum dazu ein, sich in der Figur des untalentierten, ausgeschlossenen, missbrauchten, armen, psychisch kranken Berufsclowns wiederzuerkennen. Dass Phillips den zweiten Teil also auf ein so „unmaskulines“ Genre wie das Musical drehte und dem Joker eine Freundin gab, die von einer Popikone für Schwule gespielt wird, konnte man schon vorab als klare Botschaft an diese speziellen „Joker“-Fans verstehen. In einem Incel-Forum ist zu lesen: „Welcher Heteromann würde DA schon reingehen?“ Dieser Film sei ja wohl nichts anderes als ein langer Witz, um Männerwie sie zu trollen.
Ganz falsch ist das nicht. Man hat den Eindruck, dass Phillips sich verantwortlich fühlt und so etwas wie Abbitte leistet, in dem er das selbstgerechte Monster, das er schuf, wortwörtlich auf die Anklagebank setzt, und die große Frage nach der Schuldfähigkeit des achso-gebeutelten Arthur Fleck stellt – eines fiktiven Charakters also, der sich einen fiktiven Charakter ausgedacht hat, der wiederum die fiktiven Bewohner Gotham Citys genauso inspiriert wie die echten Männer im Internet. Eine doppelte Metaebene, die wiederum auf die sehr einfache Wirkung verweist, die Filme, in denen Maskulinität im Mittelpunkt steht, haben können. Diese Wirkung geht dabei nicht selten mit einem Missverständnis einher.
Vor genau 25 Jahren feierte „Fight Club“ Premiere, ein Film, der für die Incel-Szene das bedeutet, was „Matrix“ für Rechtsextreme darstellt (zwei Gruppen, die sich in der sogenannten „Manosphere“ überschneiden). Regisseur David Fincher sagte kürzlich in einem Interview, dass er nicht dafür verantwortlich sei, wie sein Film interpretiert werde. Mehr noch, es sei ihm unbegreiflich, warum manche Fans Tyler Durden nicht als negativen Einfluss erkennen können: „Ich habe keine Ahnung, was man ihnen sagen soll oder wie man ihnen helfen könnte.“
Cet homme, c'est moi
Doch genau hierin liegt das Problem in der Rezeption dieser Filme: Sie werden als eine Art Hilfe zur (vermeintlichen) Selbsthilfe herangezogen. Als der „Joker“ 2019 erschien, veröffentlichte der „New Yorker“ eine Recherche, weshalb ausgerechnet „Fight Club“ so hartnäckig missverstanden wird – ein Film, der sich am Ende entschieden gegen seinen Antihelden Tyler Durden wendet.
Es fanden sich zwei Gründe: Zum einen, weil der Film sich gut in den Blogs und Foren der Nullerjahre (die Vorläufer der sozialen Medien) zitieren ließ, in denen sich die regelaffinen „Pickup-Artists“ (die Ahnen der Incels) zusammenrauften, um ihrem Leiden an der spätkapitalistischen Welt Ausdruck zu verleihen, beispielsweise mit dem so doppeldeutigen wie naiven Tyler-Durden-Spruch: „Wir wurden durch das Fernsehen aufgezogen in dem Glauben, dass wir alle irgendwann mal Millionäre werden, Filmgötter, Rockstars. Werden wir aber nicht! Und das wird uns langsam klar! Wir sind kurz, ganz kurz vorm Ausrasten.“
Zum anderen hält sich die Falschdeutung, und das ist vielleicht noch viel wichtiger, weil diese Männer den letzten Teil des Films als filmischen Fehler betrachten. Sie wollten nur den einen Teil, in dem Tyler Durden als Nietzsches „toller Mensch“ erscheint, rezipieren – nicht aber das selbstzerstörerische, archaische Hirngespinst, das er ist. Die Unfähigkeit, sich mit der Männlichkeitskritik auseinanderzusetzen, die allen voran in „Fight Club“ formuliert wird, führte gar zur Erfindung eines neuen Genres: „Literally Me“ – cet homme, c’est moi, dieser Mann, er ist wie ich.
Neben dem Terroristen mit Identitätsstörung aus „Fight Club“ finden sich darin der in Serie mordende Genesis-Fan aus „American Psycho“, der erfolgsbesessene, gewaltaffine Gafferjournalist aus „Nightcrawler“, der Replikantenjäger auf ewiger Selbstzerstörungsmission aus „Blade Runner“, der irgendwie romantische, aber mal wieder brutale Fahrstuhlfahrer aus „Drive“, und, natürlich, der erste seiner Art, der von Rechtschaffenheit zum Morden bewegte Irokesenfan aus „Taxi Driver“ zusammen.
Was diese Filme eint, ist offensichtlich: Ihre Protagonisten sind weiß, fühlen sich entfremdet, leben in den Vereinigten Staaten (oder einer dystopischen Version davon) und haben einen Hang zur Gewalt. Was ihnen anfangs fehlt, ist Handlungsmacht, und diese werden sie mit allen Mitteln in ihren jeweiligen Welten zu ergreifen suchen. Es braucht nicht viel, um sich verständlich zu machen, warum junge Männer darin eine Projektionsfläche sehen; die Krisenhaftigkeit der Männlichkeit findet sich in gleicher Dichte schließlich nicht nur im Film-, sondern auch im modernen Literaturkanon (von Fjodor Dostojewski über Albert Camus bis J.D. Salinger; und natürlich den Romanvorlagen für „Fight Club“ von Chuck Palahniuk und „American Psycho“ von Bret Easton Ellis). Heute zeigt sich die Krise nicht nur stark in den sozialen Medien, sondern auch konkret in zuletzt erschienenen Studien und an der Wahlurne. Es wird sich nach alten Maskulinitätsbildern gesehnt.
Der Widerspruch in sich
Ryan Gosling sagte über seine Figur in „Drive“, er sei ein Mann, der (meta!) „sein Leben mit einem Film verwechselt“, ja gar in der „Mythologie Hollywoods“ verloren geht. Schließlich hat diese Kunstform wie kein anderes Medium das Bild des modernen Mannes durch seine Genres und Ikonen mitgeprägt. Leider scheinen dabei integre Männerfiguren aus alten Zeiten, wie ein Atticus Finch, George Bailey oder vielleicht ein Mr. Keating, als positive Rollenbilder keinen Reiz als „That could be me!“-Idole zu haben. Vielleicht liegt es daran, dass diesen Figuren der Nachkriegszeit Selbstmitleid fern liegt, oder dass sie sich als konstruktiver Teil einer Gesellschaft empfinden, mit all den Entbehrungen und Nöten, die damit einhergehen.
Die Huldigung eines ästhetisierten Einzelgängers mit Drang zur Selbstjustiz ignoriert jedenfalls völlig, dass die „Literally Me“-Männer sich in die postmoderne Filmgeschichte einordnen – als Reflexionen darauf, dass Männlichkeit nicht universell, sondern (in Anlehnung an die vorausgehende feministische Filmtheorie) konstruiert ist. Sie wird, sozusagen, in diesen Filmen als Maskulinität, nicht Männlichkeit sichtbar. „Taxi Driver“ war einer der ersten Filme, der sich für ein breites Publikum damit auseinandersetzte. Im
Gegensatz zum „Joker“ (der konkret auf „Taxi Driver“ und Martin Scorsese allgemein referiert) stellte er die Widersprüchlichkeit seiner Figur aber heraus. Dort gibt es eine Schlüsselszene, in der Travis Bickle, besagter Taxifahrer, mit seiner Angebeteten Betsy in einem Diner sitzt und Kuchen isst. Er erinnere sie an ein Lied, sagt sie, um
genauer zu sein, an eine bestimmte Zeile von Kristoff Kristofferson: „He’s
a prophet, he’s a pusher, partly truth, partly fiction, a walking contradicti-
on“: Er ist ein Prophet, er ist ein Krimineller, halb echt, halb erfunden – ein Widerspruch in sich.
Den Widerspruch, der im ersten „Joker“ fehlte, hat Todd Philips nun mit „Folie á Deux“ eingelegt – und dann aufgelöst. „It was a fantasy“, sagt Lee zu Arthur und singt „That’s Entertainment“. Der Joker hat als Prophet ausgedient, Arthur Fleck ist ein Krimineller,
und zu dieser Einsicht muss der Angeklagte selbst kommen. Dass diese Bot-
schaft an seinem wichtigsten Publikum vorbeigehen wird, antizipiert der Film
dann sogar in seiner letzten Szene.
In Incel-Foren nachgelesen, läuft es jedenfalls genauso wie bei „Fight Club“ auch: Den zweiten Teil wollen sie nicht sehen, denn je weniger ihn sehen, „desto mehr gehört der echte Joker uns“. Ob Joker ohne Arthur oder Arthur ohne Joker – man hat keine Ahnung, wie man ihnen sagen soll, dass beide erfunden sind.
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